Das ALDI Pestizidverbot – gut für Umwelt- und Verbraucherschutz?
Bereits im Frühjahr dieses Jahres verkündete ALDI ein Pestizidverbot für einige Pestizidwirkstoffe. Bestimmte Zulieferer von ALDI dürfen demnach Mittel mit diesen Wirkstoffen nicht mehr einsetzen.
Das Verbot umfasst den Einsatz von acht insektiziden Wirkstoffen:
„Die Unternehmensgruppen schließen den direkten Einsatz von acht Wirkstoffen (Chlorpyrifos, Clothianidin, Cypermethrin, Deltamethrin, Fipronil, Imidacloprid, Sulfoxaflor und Thiamethoxam) beim Anbau von deutschem Obst, Gemüse und Kartoffeln aus. (…) Der Einsatz dieser bienentoxischen Wirkstoffe auf dem Feld darf als Spritzanwendung nicht mehr stattfinden“, erläutert Ralf-Thomas Reichrath aus dem Qualitätswesen von ALDI SÜD.“
Außerdem soll weiterhin im Sinne der Verbraucher an einer Reduzierung des Einsatzes von Pestiziden gearbeitet werden. Quelle: Fruchtportal
Als Autor der „Schwarzen Listen der Pestizide“, der „Liste der highly hazardous pesticides“ von PAN International und Berater diverser Labels zu diesem Thema, bin ich grundsätzlich dafür, Wirkstoffe mit bestimmten Stoffeigenschaften auszulisten. Daher ist der Vorstoß von ALDI durchaus zu begrüßen. Ob das ALDI Verbot zielführend ist, werde ich hier näher betrachten.
Das ALDI-Verbot ist zu beschränkt
Mein erster Kritikpunkt ist der schwache Umfang des Verbots. Es beschränkt sich auf den deutschen Freilandanbau einiger Kulturen und auf Anwendungen in flüssiger Form. Einsatz von Granulaten, Behandlung von Saatgut (u.a. auch Pflanzwiebeln) und alle Anwendungen im Treibhaus bleiben erlaubt. Für die relativ kurzlebigen Kontaktinsektizide mag dieses Verbot dem Bienenschutz dienen – für Fipronil, Clothianidin und Imidacloprid ist es sinnlos. Diese drei Stoffe sind sehr langlebig und wirken systemisch[1] – damit schafft man bei mehrmaliger Anwendung dauerhaft toxische Pflanzen und Böden. Jede Anwendung dieser Stoffe muss generell verboten werden – sie hätten niemals die EU-Zulassung bekommen dürfen. Die Behandlung von Setzlingen und anderem Pflanzgut, welches man im Gewächshaus anzieht oder das Auspflanzen behandelter Importware (z.B. aus Holland[2]), ist erlaubt –man darf die toxischen Pflanzen ins Freiland pflanzen.
Viele WissenschaftlerInnen reden von einem Kollaps der europäischen Arthropoden[3]populationen, mit eventuell gravierenden Auswirkungen auf die Vogelpopulationen. Einige, der von ALDI verbotenen Pestizide werden dafür verantwortlich gemacht (siehe dazu ausführlich in Reuter und Neumeister 2015).
Schaut man in die APP „Essen ohne Chemie Plus“ nach den einzelnen Pestiziden, bestätigt sich, dass diese Stoffe in sehr vielen Ländern und Fruchtarten eingesetzt werden. Ein auf Deutschland beschränktes Verbot ist für einen international agierenden Konzern wie ALDI daher bloße Makulatur und nützt weder den VerbraucherInnen noch der Umwelt. Die Anbaufläche von Freilandgemüse in Deutschland ist vergleichsweise minimal und je nach Jahreszeit wird der Markt überwiegend aus dem Ausland bedient.
ALDI verbietet, was sowieso nicht erlaubt ist
Die Einhaltung gesetzlicher Standards in irgendeinem Qualitätssiegel festzuschreiben und damit Marketing zu betreiben, ist sehr verbreitet. Mit schönen Worten und Siegeln etwas zu verbieten, was sowieso nicht erlaubt, ist ein einfacher Weg um beim unbedarften Verbraucher zu punkten.
Auch ALDI geht mit der Verbotsliste in eine ähnliche Richtung.
Auf der Webseite der deutschen Zulassungsbehörde kann jeder nachsehen, welche Wirkstoffe in welchen Kulturen in Deutschland zugelassen sind. Dort erfährt man zum Beispiel, das Fipronil und Sulfoxaflor in Deutschland gar nicht zugelassen sind. Weiterhin lernt man, dass nur einer der verbotenen Stoffe (Imidacloprid) überhaupt im Obstbau zugelassen ist. Das ALDI-Verbot der anderen sieben Wirkstoffe im Obstbau ist daher wirkungslos.
Das ALDI-Verbot führt zum bloßen Mitteltausch
Die Geschichte und auch meine berufliche Erfahrung zeigen immer wieder, ein gefährlicher Stoff wird nach einem Verbot einfach mit dem nächsten ersetzt: arsenhaltige Insektizide wurden mit DDT & Co ersetzt, diese wiederum mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Organophosphate und diese wiederum mit Neonicotinoiden[4]. Jede neue Stoffgruppe schien ein oder mehrere Probleme zu lösen – schaffte dafür aber neue.
Ein konventioneller Produzent fragt bei anstehenden Pestizidverboten fast immer nach chemischen Alternativen, die a) in seinem Anbausystem erlaubt sind, b) funktionieren und c) weniger problematisch sind. In dieser Reihenfolge.
Im deutschen Kartoffelanbau sind 21 insektizide Wirkstoffe zugelassen (inkl. Akarizide). Von diesen 21 verbietet ALDI sechs und dem Kartoffelproduzenten stehen immer noch 15 Wirkstoffe zu Verfügung. Unter diesen 15 Wirkstoffen befindet sich weitere bienentoxische Wirkstoffe. Die verbotenen Pyrethroide: Cypermethrin und Deltamethrin können daher einfach mit anderen – ebenfalls bienengiftigen Pyrethroiden – ersetzt werden (z.B. lambda-Cyhalothrin, beta-cyfluthrin). Die drei Neonicotinoide können durch andere Neonicotinoide (Thiacloprid, Acetamiprid) ersetzt werden. Diese sind bezüglich der akuten Giftigkeit für Bienen zwar etwas besser, können dafür aber andere Nützlingspopulationen dezimieren (und u.U. bestimmte Schädlinge fruchtbarer machen).
Im Obstbau sieht es genauso aus: ALDI verbietet einen bienentoxischen Wirkstoff – einen von vielen.
Um u.a. solche Ersatzeffekte vorauszusehen und zu vermeiden, habe ich den Toxic Load Indicator entwickelt. Denn es ist wenig zielführend, ein paar problematische Stoffe zu verbieten, wenn fast identische Stoffe weiterhin erlaubt sind bzw. Pestizide mit anderen Pestiziden ersetzt werden, die neue Probleme verursachen (können). Die Liste der schlechten Beispiele ist lang. Die ewige Substitution kann man nur vermeiden, wenn man zu vorbeugenden und nicht-chemischen Verfahren wechselt und ggf. mehr kosmetische Fehler[5] beim Obst und Gemüse zulässt– dafür müsste ALDI beim Einkauf tiefer in die Tasche greifen bzw. seine Einstellung ändern.
Fazit
Obwohl der Vorstoß von ALDI generell zu begrüßen ist, wird die Verbotsliste kein Problem lösen. Die Einschränkung auf die flächenmäßig kleine deutsche Freilandproduktion nützt weder den VerbraucherInnen noch den kollabierenden Insekten- und Vogelpopulationen in Europa.
- Die Anwendung langlebiger-systemischer Insektizide in fester Form (z.B. als Granulat) ist extrem bedenklich – diese Anwendung ist aber weiterhin erlaubt.
- Die Liste ist zu kurz – nicht alle bienentoxischen Stoffe werden verboten. Diese Kürze macht bloßes Austauschen von Stoffen möglich.
- ALDI verbietet den Einsatz von Stoffen, die sowieso nicht erlaubt sind.
„Schwarze Listen“ gehören in den Werkzeugkasten der Pestizidreduktion – aber sie müssen mit anderen Maßnahmen flankiert werden. Diese Maßnahmen kosten unter Umständen mehr Geld und dafür müsste ALDI finanzielle Anreize setzen.
Lesetipp:
Mehr zum Thema Pestizidreduktion u.a. in: Neumeister L (2007): Pesticide Use Reduction Strategies in Europe, Six case studies pdf.
Fußnoten
[1]„Systemisch“ bedeutet, dass sich der Wirkstoff in der Pflanze verteilt. In diesen Fällen (Neonicotinoide) werden die langlebigen Stoffe aus dem Boden über die Wurzel dauerhaft aufgenommen.
[2] Sehr viel Pflanzgut für den deutschen Gartenbau kommt aus Holland, wo es u.a. eine Genehmigung für den Einsatz von Fipronil gibt.
[3] Gliederfüßer (Arthropoden): dazu gehören u.a. Spinnentiere, Insekten, Krebstiere und Tausendfüßer.
[4] Organophosphate sind immer noch im Einsatz, werden/wurden aber mengenmäßig immer stärker durch Neonicotinoide ersetzt. Siehe Abbildungen in W. Reuter & L. Neumeister, Europe’s Pesticide Addiction – How Industrial Agriculture Damages our Environment. Scientific Report (104 S.), Greenpeace
[5] Ein beträchtlicher Anteil von Pestizidanwendungen im Obst- und Gemüseanbau dient dazu optisch makellose Ware zu produzieren.