Höchstmengen Für Acetamiprid Sind Zu Hoch

EU-Kommission missachtet EFSA Gutachten und beschließt unsichere Höchstmengen

Im Juni des letzten Jahres habe ich einen Beitrag über zu hohe Höchstmengen von bestimmten Pestiziden geschrieben. In dem Artikel beschreibe ich, dass Höchstmengen nicht revidiert werden, obwohl den Behörden neue Erkenntnisse über eine stärkere Giftigkeit vorliegen. Nicht nur das. Das neue Wissen fließt so zeitverzögert in die Risikobewertung ein, dass es bei Anhebungen von Höchstmengen nicht berücksichtigt wird.

Seit dem letzten Jahr wurden für eines der betroffenen Pestizide (das neurotoxische Insektizid Acetamiprid) erneut die legalen Limits in Lebensmitteln angehoben, während zu hohe Höchstmengen (siehe Tabelle) nicht abgesenkt wurden. Für die Risikobewertung seitens der EFSA wurden nun auch die neuen toxikologischen Grenzwerte verwendet.

Im einem Bewertungsbericht kommt die EFSA allerdings eindeutig zu dem Schluss, dass durch die vorgeschlagenen Höchstgehalte ein akutes Risiko für Kinder nicht auszuschließen ist. Konsequenterweise schlägt die EFSA keine Anhebung der Höchstmengen vor:

Consequently, EFSA does not recommend changing the MRL for leafy brassicas (Chinese cabbage and kales) since an acute intake concern cannot be excluded for consumers.[1]

Die EU-Kommission hebt mit EU-Verordnung 2016/1003 die Höchstmengen trotzdem von 0,01 mg/kg auf die riskanten 1,5 mg/kg an und verweist als Grundlage der Entscheidung ausschließlich auf den Bewertungsbericht der EFSA[i]. Die EU-Kommission verstößt damit gegen geltendes Recht (VO [EU] 396/2005), welches den Schutz gefährdeter VerbraucherInnen vorschreibt.

Wie konnte es dazu kommen?

Das Versagen der deutschen Behörden

Im Jahr 2015 reicht der Pestizidhersteller Nisso Chemical Europe einen Antrag auf Änderung von gesetzlichen Höchstgehalten bei den deutschen Behörden ein. Die gesetzlichen Höchstgehalte für Blattkohle (u.a. Grünkohl, Chinakohl) sollen von 0,01 mg/kg auf 1,5 mg/kg angehoben werden. Die deutschen Behörden haben nun den Auftrag den Antrag zu prüfen.

Für eine Eingabe der relevanten Daten in das EFSA Bewertungsmodell PRIMo benötigt man weniger als fünf Minuten. Diese Zeit scheinen sich die deutschen Behörden nicht genommen zu haben. Denn wenn man den vorgeschlagenen Höchstgehalt von 1,5 mg/kg bzw. den höchsten Rückstand (HR) aus den Feldversuchen (0,73 mg/kg) ins PRIMo Modell eingibt, sieht man sofort, dass es möglicherweise ein akutes Risiko für bestimmte Verbrauchergruppen gibt. Die akute Referenzdosis (ARfD) ist bei Grünkohl schon beim HR deutlich überschritten. Die Überschreitung ist noch einmal ca. doppelt so hoch bei Eingabe des vorgeschlagenen (und nunmehr gültigen) Höchstgehalts von 1,5 mg/kg (siehe Screenshots des PRIMo Modells).

acetamiprid_primo_kohle

Die Ergebnisse der PRIMo Auswertung hätte übrigens schon der Antragsteller Nisso Chemical Europe einreichen müssen, da es sich hier nach um einschlägige, öffentlich verfügbare Daten handelt (siehe Artikel 7, VO [EU] 396/2005).

Obwohl der Höchstgehalt von 1,5 mg/kg offensichtlich für Kinder ein Risiko darstellen kann, schlagen die deutschen Behörden der EU-Kommission diesen Wert als neue Höchstmenge vor.

Überschreitung der Kompetenz der EU-Kommission

Nach Eingang des deutschen Bewertungsberichts bei der EU-Kommission leitet diese ihn unverzüglich an die EFSA weiter und beantragt die Stellungnahme der EFSA.

Die EFSA lehnt die Anhebung der RHG von 0,01 mg/kg auf 1,5 mg/kg im eigenen Gutachten ab. Es gibt auf den ersten vier Seiten des Gutachtens vier eindeutige Textpassagen dazu.

Was danach passiert, ist bisher unklar. Man kann nur vermuten, dass in der EU-Kommission der deutsche Bewertungsbericht berücksichtigt und das Gutachten der EFSA ignoriert wurde. Damit würde die europäische Kommission gegen geltendes Recht verstoßen, denn nach Artikel 14 der VO (EU) 396/2005 entscheidet die Kommission über RHG allein aufgrund der Stellungnahme der EFSA. Der nationale Bewertungsbericht dient der EU-Kommission nur zur unverzüglichen Weiterleitung an die EFSA (Artikel 9, VO [EU] 396/2005). Die Verordnung sieht keine eigenständige Bewertung des nationalen Bewertungsberichts durch die EU-Kommission vor.

Auch wenn es sich in diesem Fall nur um zwei Höchstgehalte handelt, muss der Vorgang geklärt werden. Die deutschen Behörden haben zu hohe Höchstgehalte vorgeschlagen und die EU-Kommission hat die Stellungnahme der EFSA ignoriert und diese hohen Höchstgehalte erlaubt. Ob es sich hier um einen Einzefall handelt, ist kaum herauszufinden, da jährlich unzählige Höchstgehalte geändert werden – allein seit Januar 2016 gab es 20 Verordnungen zu RHG Änderungen.

Die Anträge auf Änderungen bzw. Festlegung von Rückstandshöchstgehalten sollten – wie in den USA – öffentlich verfügbar gemacht werden und einer öffentlichen Anhörung unterliegen.

Fuß- und Endnoten

[1] EFSA Journal 2015;13(10):4229. Seite 3

[i] Fußnote 2 der VERORDNUNG (EU) 2016/1003 DER KOMMISSION vom 17. Juni 2016 zur Änderung der Anhänge II und III der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Höchstgehalte an Rückständen von Abamectin, Acequinocyl, Acetamiprid, Benzovindiflupyr, Bromoxynil, Fludioxonil, Fluopicolid, Fosetyl, Mepiquat, Proquinazid, Propamocarb, Prohexadion und Tebuconazol in oder auf bestimmten Erzeugnissen